Coaching-Programm in der akademischen Personalentwicklung

Ein Praxisbericht über das Pilotprojekt von sechs Schweizer Fachhochschulen, geschrieben von Dr. Michael Loebbert, Programmleitung MAS Coaching FHNW (michael.loebbert[at]fhnw.ch).


Coachingprogramm im Projekt “Career for Social Work” – ein Praxisbericht

Fachhochschulen haben gemäss ihrem Zuschnitt und Auftrag eine besondere Nähe zur beruflichen Praxis ihrer Studierenden. Das wird auch von den dort Lehrenden erwartet. Bestenfalls ergänzen sich ihr akademisches Profil und ihr Praxisprofil («doppeltes Kompetenzprofil»). Die sechs Fachhochschulen der Sozialen Arbeit (Social Work) in der Schweiz haben deshalb entschieden, für die Entwicklung insbesondere von jüngeren Dozierenden ein Programm (Career to Social Work – C2SW) zeitlich begrenzter Praxisimmersionen anzubieten. Diese sollen mit einem spezifischen Coaching-Programm (Teilprogramm) unterstützt und begleitet werden.

1. Struktur des Programms C2SW (2017 bis 2021)

Die Teilnahme an dem Programm war freiwillig. Nominelle Auftraggeberin der Immersionen war jeweils die Praxisorganisation. Neben den individuellen Zielen der beruflichen Entwicklung bzw. Kompetenzentwicklung sollten auch organisationale Ziele der Hochschulen erreicht werden: Erhöhung der Attraktivität der FHs als Arbeitgeber, die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit der FHs in der Schweiz und die Stärkung der Verbindung mit den vielfältigen Praxisorganisationen.
Den Teilnehmenden wurde ein strukturierter Prozess («Portfolioprozess») angeboten: (1) Kompetenzbilanz, (2) Kompetenzerwerb in der Immersion, (3) Transfer in die Arbeit an der Hochschule.

2. Das Coaching-(Teil-)Programm

Dem entsprachen 3 Phasen im Einzelcoaching, Einführungscoaching, Begleitcoaching und Transfercoaching. Alle 25 Teilnehmende haben in ihren Immersionen von 3 Wochen bis zu einem Jahr das Coachingangebot wahrgenommen. Sie wurden aus den beteiligten Hochschulen von 5 Coaches für Einzelcoaching (3 bis 5 Sitzungen à 1 bis 2 Stunden) und einem weiteren Coach für Gruppencoaching (alle 4 Monate 2 Stunden) begleitet. Die Coaches im Programm wurden als «Coaching-Pool» für Intervision und Erfahrungsaustausch mit einem jährlichen Treffen zusammen mit der Projektleitung geführt.
Das für C2SW entwickelte Coaching-Phasenmodell begleitete die Immersionsphasen der Programmteilnehmenden. Es handelt sich um ein flexibles und anpassungsfähiges Unterstützungsangebot, welches sich aus drei Coaching-Typen, zwei Coaching-Phasen und zwei Coaching-Settings zusammensetzte:

Abbildung 1: Coaching-Phasenmodell

3. Die Umsetzung Step by Step

Viele Unsicherheiten der Rahmenbedingungen wie die Zahl der Teilnehmenden und die Partnerschaften mit Praxisorganisationen veranlassten in der Konzipierung, ein Vorgehen «Step by Step» vorzusehen. Einfache und schnelle Rückmeldeschlaufen der Coachingverantwortlichen mit der Projektleitung und ein jährlicher Coachingtag für Intervision und Vernetzung waren dafür geplant und wurden realisiert. Zusätzlich wurde für aktuelle Informationen, Erfahrungsaustausch und Dokumentation des Programms eine öffentliche und eine interne Website angeboten. So konnten auch Absolvent:innen des Programms aktuell weiter einbezogen werden. Alle Beteiligten waren damit auf dem gleichen Stand. Der Stand des Coachingteilprogramms wurde auf der Website etwa einmal im Jahr aktuell zusammengefasst. Eine Zwischen- und eine Schlussevaluation stehen dort zur Verfügung. https://career2socialwork.hes-so.ch

Die Anliegen der Coachingklient:innen gingen teilweise über den Portfolioprozess hinaus. Konkrete Fragestellungen aus den Immersionen wie Rollengestaltung, Widersprüche von Auftrag und Entsendung, Erfahrungen mit den Klient:innen der Sozialen Arbeit wurden vorrangig bearbeitet. Meinungsverschiedenheiten zwischen der Projektleitung (die als Auftraggeberin eine stärkere Strukturierung der Coachingprozesse in der Portfolioarbeit wünschte) und den Coaches (die in der Praxis mit den unterschiedlichsten Anliegen arbeiteten) konnten konstruktiv gerahmt werden. Viele Programmteilnehmende wählten trotz der möglichen Interessenskonflikte coachende Personen vom eigenen Hochschulstandort. Die Treffen wurden auch im Einzelsetting meistens per Videokonferenz durchgeführt.
Die Umsetzung der Gruppencoachings und der Coachtreffen sollte zweisprachig deutsch und französisch erfolgen. Nach Versuchen, interne Kolleg:innen für die Übersetzung zu nutzen, erwies sich die Beauftragung einer professionellen Übersetzerin als sehr hilfreich.
Die Notwendigkeit mit der Coronapandemie, statt physisch lokaler Treffen auf Video live-online umzusteigen, beförderte die Arbeit. Die vorigen Reisen von den über die ganze Schweiz verteilten Hochschulstandorte wurden als aufwendig erlebt. Mit dem absehbaren Ende des Programms liess das Interesse allerdings auch online deutlich nach.

4. Einige Erfahrungen

Die folgenden Zitate aus der Evaluation beschreiben Nützlichkeitswahrnehmung der Einzelcoachings während der Immersionen:
«Für mich war besonders spannend, wie ich mich von den Herausforderungen, die die Immersion mit sich brachte, distanzieren konnte.»
«Das parallel zur Immersion durchgeführte Coaching hat mich in meiner Reflexion unterstützt.»
«Das individuelle Coaching im C2SW-Programm ist sehr hilfreich, um die Möglichkeiten und Grenzen des Kompetenzerwerbs erkennen zu können».
«Coaching bietet eine Aussenperspektive, die einen Transfer der Praxiserfahrungen in die akademische Tätigkeit fördert.»

Dieser Bericht gibt einen Einblick in das Gruppencoaching:
«Beeindruckend war die Vielfalt und Reichhaltigkeit der Praxiserfahrungen – kommunale Quartiersarbeit, Bewährungshilfe, Flüchtlingshilfe, Psychiatrie, sozialpädagogische Institution – es gab Interesse, vertiefende Nachfragen, sozialpolitische Einordnung. Lehrreich für die Beteiligten war, wie es in den Immersionen gelungen ist, an die unterschiedlichen Praxiskontexte anzukoppeln. Im Zentrum des zweiten Teils des Gruppencoachings stand die Frage, wie die Immersion von den Teilnehmenden selbst nach ihrem Abschluss beurteilt würde. Dazu nutzten wir das Frageraster der Logischen Ebenen des Handelns nach Robert Dilts. Spirituelle Ebene: Die Erfahrung der Immersion stärkt die Verbundenheit und Motivation, sich für benachteiligte Menschen einzusetzen. Die Identität der Sozialen Arbeit wird in der Reflexion auf konkrete Gestaltungsspielräume weiterentwickelt. In der erlebten Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen wie auch der Politik wird die eigene Stimme der Sozialen Arbeit besser wahrnehmbar. Werte der Sozialen Arbeit werden selbstverständlich eingebracht und von den Teilnehmenden gewürdigt. Die Arbeit an konkreten Lösungen stärkte die Fähigkeit wirkliche Hindernisse und Schwierigkeiten richtig einzuschätzen und zu bearbeiten. Verhalten: Die Rolle der Lernenden einzunehmen war ein wohltuender und lehrreicher Kontrast zur Dozierenden und Expertenrolle im Alltag.»

5. Fazit

Coaching wird in diesem Projekt als persönliche Form der Prozessberatung verstanden. Fokus ist der Erfolg der Programmteilnehmenden in ihrem Anliegen, in ihrem Leistungsprozess. Die «Portfoliophasen» gaben dafür eine passende und nicht zu eng gefasste Orientierung. Die Personen, die im Rahmen des C2SW-Programms eine Immersion absolviert haben, profitierten von einem individuellen und einem Gruppencoaching. Damit sollte die Wirkung der Immersionen für die Teilnehmenden in den Praxisorganisationen verstärkt und der Transfer der erworbenen Kompetenzen in ihre akademischen Tätigkeiten gefördert werden. Das Gruppencoaching bot zudem Gelegenheit, sich von den unterschiedlichen Immersions- und Transfermöglichkeiten von Kolleg:innen inspirieren zu lassen und auch das persönliche Netzwerk auszubauen. Das Coaching als «persönliche Prozessberatung» unterstützt die teilnehmende Person dabei, ihre Ziele zu erreichen und ihren persönlichen Leistungsprozess erfolgreich zu steuern. Aus methodischer Sicht geht es dabei in erster Linie um die Unterstützung und die Förderung der Selbststeuerung. Fragen der Ethik und der Haltung wie beispielsweise lösungs- und ressourcenorientierte Beratungen, sind Teil des Prozesses, der von den Coaches angeboten wird. Damit kommen auch Aspekte der Persönlichkeitsentwicklung zur Geltung.
Die Coaches integrierten unterschiedliche Kommunikationskanäle wie das Remotecoaching und gewährleisten eine Begleitung auf Distanz im Sinne des Blended-Coaching-Ansatzes; dies entspricht den Anforderungen an Flexibilität und Mobilität eines Pilotprogrammes nationaler Reichweite.
Coaching als Format der Personalentwicklung ist eng verknüpft mit klassischen Kompetenzkonzepten, Coaching für Kompetenzentwicklung. Aus den Themen und Herausforderungen der Teilnehmenden entstanden weitere zusätzliche Effekte von Coaching wie Konflikt- und Rollenberatung, persönliche Strategie und Positionierung, Karriereentwicklung und Netzwerkkommunikation. Damit wurde die Brücke zur Organisationsentwicklung und Kulturentwicklung gelegt. Die beteiligten Fachhochschulen profitierten von den Möglichkeiten eines schweizweiten Programms und den Kontakten mit Praxisorganisationen sowohl für Lehre und Forschung als auch für Dienstleistungen und Weiterbildung (4-facher Leistungsauftrag der Fachhochschulen).

Das Programm wird mit dem August 2021 beendet. Die Projektleitung empfiehlt eine Fortführung des Programms. Die Möglichkeiten einer Fortführung werden deshalb jetzt diskutiert.


Mehr zum Projekt «Career for Social Work» finden Sie hier:
Seminar C2SW 2019 | HES⁠-⁠SO Fachhochschule Westschweiz (hes-so.ch)